Baugenehmigung für Hotel-Neubau auf dem Königstuhl war rechtswidrig! Rückbau wird als unverhältnismäßig erachtet
GAL Stadträtin Judith Marggraf fordert mehr Transparenz bei Entscheidungen des Baurechtsamts
Rhein-Neckar-Zeitung 26.03.2021:
Rhein-Neckar-Zeitung 08.03.2021:
Leserbrief von GAL Altstadt Bezirksbeirat Gerd Guntermann:
Rhein-Neckar-Zeitung 03.03.2021:
Hotel-Neubau am Königstuhl hätte so nie genehmigt werden dürfen
Petitionsausschuss: Baugenehmigung war rechtswidrig – Gebäude darf dennoch stehen bleiben – Auflage: Stadt muss Bauanträge abstimmen
Deutlich massiver als der Vorgängerbau: Der Neubau am Königstuhl hätte nie genehmigt werden dürfen. Schon an Ostern soll das Hotel und Restaurant eröffnen. Foto: Rothe
Der Altbau – hier im Jahr 2008 – hatte ein Stockwerk weniger und war rund drei Meter kleiner. Nach der Baugenehmigung von Oktober 2018 wurde er vollständig abgerissen. Archivfoto: Kresin
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Die Genehmigung für den Abriss und Neubau des Königstuhlhotels war rechtswidrig und hätte von der Stadt so nicht erteilt werden dürfen. Das ist das Ergebnis einer Prüfung durch den Petitionsausschuss des Landtags Baden-Württemberg. Trotzdem lehnte das Gremium die Petition ab. Das Hotel, das kurz vor der Fertigstellung steht, muss also nicht wieder abgerissen werden. Ein Heidelberger hatte sich an den Ausschuss gewandt. Die RNZ beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Um welches Gebäude geht es? Um das neue Hotel auf dem Königstuhl nahe der Gipfelstation der Bergbahn. Direkt hinter der beliebten Aussichtsplattform gab es schon seit 1864 ein Hotel. Nach der Jahrtausendwende ging es jedoch wirtschaftlich bergab, das Haus stand viele Jahre weitgehend leer – zuletzt hatte 2010 auch der Biergarten dort zugemacht. 2012 kaufte der Investor Wolfgang Scheidtweiler das Anwesen, um es wiederzubeleben. Nach einigem Hin und Her wurde der marode Altbau abgerissen und ein neues Hotel mit 62 Zimmern, Biergarten und Tiefgarage entstand. Lassen die Corona-Regeln es zu, soll es an Ostern eröffnen.
Wann und wie wurden Abriss und Neubau genehmigt? Das Bauvorhaben und der Genehmigungsprozess zogen sich über Jahre. Die Stadt erteilte 2008 dem damaligen Besitzer einen sogenannten Bauvorbescheid – auch für einen Anbau im Süden des Bestandsgebäudes. Der heutige Besitzer Scheidtweiler erhielt dann 2014 die erste Baugenehmigung für Um- und Anbau. Fünf Mal wurden dem Bauherrn bis 2017 Änderungen genehmigt, bis er schließlich feststellte: Die Bausubstanz ist zu marode, um den Bestand erhalten zu können. Also beantragte er, alles abzureißen und komplett neu zu bauen. Das genehmigte ihm die Stadt im Oktober 2018.
Warum waren die Baugenehmigungen rechtswidrig? Vereinfacht gesagt: Die Dimensionen des neuen Gebäudes sind im Landschaftsschutzgebiet zu groß. Die Genehmigungen verstießen gegen Paragraf 35 des Baugesetzbuchs, der das Bauen im Außenbereich regelt – also auf allen Grundstücken, die weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans noch in einem bebauten Ortsteil liegen. Der Paragraf besagt, dass die Erweiterung eines bestehenden gewerblichen Betriebs „im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude angemessen“ sein muss. Die Stadt genehmigte das Vorhaben auf dieser Grundlage, doch der Petitionsausschuss widerspricht deutlich: „Bereits die ursprünglich geplanten baulichen Erweiterungen überschreiten das Maß, das nach Baugesetzbuch noch als ,angemessen’ bezeichnet werden kann.“
Der Altbau – hier im Jahr 2008 – hatte ein Stockwerk weniger und war rund drei Meter kleiner. Nach der Baugenehmigung von Oktober 2018 wurde er vollständig abgerissen. Archivfoto: Kresin
Denn bereits 2008 hatte die Stadt im Bauvorbescheid nicht nur eine Erweiterung nach Süden um fünf Meter, sondern auch eine Aufstockung um rund drei Meter genehmigt. Als dann 2018 der Komplettabbruch des Altbaus genehmigt – und wenig später durchgeführt – wurde, war damit der Bestandsschutz für das frühere Gebäude entfallen. Der Petitionsausschuss macht deutlich, dass laut Paragraf 35 zwar Gebäude, die durch Brände oder andere Naturereignisse zerstört werden, an gleicher Stelle neu errichtet werden können. Der „allmähliche Verfall eines Gebäudes“ sei aber kein Grund für einen Ersatzbau.
Was sagt der Petitionsausschuss konkret zu den Dimensionen des Neubaus im Landschaftsschutzgebiet Königstuhl? Seit Jahren wird in Heidelberg wegen des im Vergleich zum Vorgängerbau massiveren Neubaus diskutiert. Der Besitzer der neben dem Königstuhlhotel ansässigen Falknerei Tinnunculus hatte deshalb Widerspruch eingelegt – dieser wurde von der höheren Baurechtsbehörde, dem Regierungspräsidium Karlsruhe, zurückgewiesen, da keine nachbarschaftlichen Rechte verletzt seien. Der Petitionsausschuss geht auf die Dimensionen des Neubaus aus naturschutzrechtlicher Sicht näher ein: „Die Gebäudegeometrie, die Höhe und die architektonische Ausführung des Neubaus unterscheiden sich deutlich vom ursprünglichen Gebäude, das sich besser in die Landschaft einfügte.
Die Westseite des Gebäudes ist exponierter und deutlich größer als beim Altbestand, die Flachdachbereiche integrieren sich weniger gut in die Landschaft.“ Ergebnis sei eine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds. Für ein Verbot braucht es laut Gesetz allerdings eine „Verunstaltung“, nicht nur eine Beeinträchtigung. Deshalb sei „das Vorhaben im Ergebnis aus naturschutzrechtlicher Sicht noch vertretbar“. Insgesamt ist die Beurteilung aber unmissverständlich: „Die Erteilung der Baugenehmigung für die Erweiterung der Hotel-Gaststätte und die Zulassung im Landschaftsschutzgebiet hätten so im Ergebnis grundsätzlich nicht erfolgen dürfen.“
Warum werden die rechtswidrigen Baugenehmigungen nun nicht zurückgenommen? „Eine Rücknahme – verbunden mit der Pflicht zum Rückbau durch den Vorhabenträger – erachten wir als unverhältnismäßig“, heißt es auf RNZ-Anfrage von der Stadt. Der Petitionsausschuss hält diese Entscheidung der Stadt für „im Ergebnis nachvollziehbar“. Das öffentliche Interesse an der Herstellung eines rechtmäßigen Zustands stehe hier dem Vertrauensschutz des Bauherrn gegenüber, der „wesentliche Vermögensdispositionen“ getroffen habe. Obwohl die Baugenehmigung von 2018 rechtswidrig gewesen sei, habe sie inzwischen Bestandskraft erlangt.
Was sagt die Stadt zu den von ihr erteilten rechtswidrigen Baugenehmigungen? Baubürgermeister Jürgen Odszuck (der sein Amt im Oktober 2016 antrat), sagt auf RNZ-Anfrage: „Es handelte sich um ein sehr komplexes Verfahren, das sich seit 2008 über rund zehn Jahre hinzog und bei dem man auf immer neue Gegebenheiten reagieren musste.“ Als der private Bauherr festgestellt habe, dass die Statik des Altbaus den Anforderungen nicht mehr genüge, habe die Stadt „nach intensiver Prüfung und Abwägung entschieden“, den Antrag auf Abriss und Neubau zu genehmigen. Das sei ein Grenzfall gewesen. „Aus heutiger Sicht wäre es die formal korrekte Lösung gewesen, das Vorhaben nicht auf dem Genehmigungsweg, sondern über ein Bebauungsplanverfahren zu lösen“, sagt Odszuck.
Dieses „bürokratisch allseits abgesicherte Prozedere“ hätte dann aber, so der Bürgermeister, einen Zeitverzug von mindestens zwei Jahren zur Folge gehabt – und ein „mit großer Wahrscheinlichkeit“ genau gleiches Ergebnis. „Schließlich war der zunehmend verfallende Altbau am oberen Ende der Touristenattraktion Bergbahn seit Jahren ein Schandfleck“, so Odszuck. „Die Wiederbelebung dieses Ensembles war daher von großem öffentlichen Interesse.“ Dass an einem „derart beliebten und hochfrequentierten Ort wieder eine Ausflugsgastronomie entstehen soll“, sei breiter Konsens gewesen, so Odszuck.
Welche Konsequenzen zieht die Stadt? Die Stadt sieht keine Notwendigkeit für größere Konsequenzen, wie sie der RNZ mitteilt. Die Baurechtsbehörde bearbeite im Jahr über 500 Verfahren und nur in Einzelfällen werde die rechtliche Beurteilung durch das Regierungspräsidium oder Gerichte nicht geteilt. Das liege in der Natur der Sache, da es immer wieder Grenzfälle gebe, bei denen die baurechtlichen Regelungen individuell interpretiert werden müssten. Bürgermeister Odszuck kündigt aber an, dass es in Heidelberg künftig mehr aufwendigere Bebauungsplanverfahren geben könnte: „Da muss auch der Gemeinderat Verständnis für die engen Grenzen aufbringen, die uns hier aufgezeigt wurden.“
Welche Konsequenzen zieht das Land? Das Wirtschaftsministerium, das als oberste Baurechtsbehörde des Landes in dem Petitionsverfahren Stellung nahm, schrieb schon im März 2020 an das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe mit der Bitte, gegenüber der Stadt Heidelberg anzuordnen, alle Bauanträge zu Vorhaben im Außenbereich bis auf Weiteres mit dem RP abzustimmen. Seitdem muss die Stadt alle Genehmigungen dem RP vorlegen. Der Leiter des städtischen Baurechtsamts, Jörg Hornung, sagt gegenüber der RNZ, dass diese Abstimmung gut laufe: „Das hat sich gut eingespielt, führt im Einzelfall aber schon mal zu einer Verlängerung des Genehmigungsverfahrens.“ Diese Abstimmung sei auf zwei Jahre angelegt, es gebe aber bereits Gespräche mit dem RP, ob man das früher beenden könne.
- Posted by GAL (ck)
- On 26. März 2021