Ein etwas anderes BBR-Protokoll aus Handschuhsheim von Martina Weihrauch
13. Juli 2017
Bei lauschigen 30 Grad, dies aber nur Schatten, betrete ich den Saal, in dem sich heute vier Bezirksbeiräte treffen, um über ein Thema zu diskutieren, das ich trotz mehrfacher Leseversuche, nicht ganz verstanden habe. Also das Thema habe ich schon verstanden, aber ich verstehe nicht so ganz, wo das Problem ist. Der Saal ist runtergekühlt auf unter 20 Grad. Ich erschaudere in meinem Sommerkleidchen.
Die Sitzordnung ist heute eine andere. Das macht es schwierig. Ich bin immer noch unsicher, neben welcher Partei ich gerne sitzen möchte. Ich möchte weit weg von dem AFD-Mann sitzen, ungern neben den Grünen, da gibt es die Gärtnerin und die Frau Doktor. Von den SPD-Menschen mag ich oft nur die Frau und die CDU kommt für mich eigentlich auch nicht in Frage. Die CDU-Männer sind die grauen Herren.
Heute bleibt mir nur der Platz neben der CDU.
Der Oberbürgermeister kommt heute auch. Ich weiß nicht warum, aber er begrüßt mich mit Handschlag. Auch seine Hand ist kalt. Ich scheine bekannt zu sein in dieser Stadt.
Wir bekommen eine Powerpointpräsentation zu sehen. Ich wickle mir mein Chiffontuch um die Schultern, es ist so kalt, dass das Wasser in den Flaschen gefriert. Ich mag diese bunten Präsentationen, es wirkt so freundlich. Ich verwickle den neben mir sitzenden CDU-Mann in ein Gespräch in der Hoffnung, dass er sein Wissen mit mir teilt. Solange ich immer noch so wenig verstehe, nicke ich zustimmend und schreibe sinnloses Zeug in meine Unterlagen und vervollständige meinen Einkaufszettel.
Ich habe nun verstanden, dass wir heute nicht über Entscheidungen reden, sondern darüber, wenn man eine Entscheidung jemals treffen würde, wie man dann diese Entscheidung treffen könnte. Einfach ausgedrückt, wenn wir beabsichtigen, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, wen würden wir dann fragen, ob er oder sie auch einen Weihnachtsbaum will? Und sind diese Menschen ernstzunehmende Bürger_innen? Kennen sie die Bedeutung von einem Weihnachtsbaum? Und wann würden wir ihn aufstellen? Und wo? Wollen wir das überhaupt? Wie komme ich eigentlich auf den Vergleich mit dem Weihnachtsbaum? Ach ja, es ist so kalt hier drinnen.
Ob es eine Hölle gibt, darüber könnte man mit Theolog_innen lange philosophieren. Meine persönlichen Vorstellungen davon werden gerade sehr deutlich. Im Übrigen sitzt auch ein Mann namens Teufel im Publikum, ich glaube ja nicht an Zufälle.
Frau Müller-R., ich kann mir nie merken, ob sie nun zur Bunten Linken oder zu unbunten Linken gehört, meldet sich zu Wort. Durch das Publikum geht ein eisiges Raunen. Und nicht nur, weil es so kalt ist.
Frau Müller-R. geht ans Mikrophon. Zu meinem Entsetzen sehe ich, dass sie 10 Seiten beschriebenes Papier in der Hand hält. Frau Müller-R. beginnt ihre Volksreden immer und grundsätzlich mit einem Dank: „Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Oberbürgermeister und allen Ihren Mitarbeiterinnen für die von Ihnen geleistete, gutgemeinte Arbeit bedanken. Für uns ist ersichtlich, wie viel Arbeit und Sachkompetenz in diesem Versuch und bla bla bla….“ Ich habe schon vor einiger Zeit die Erkenntnis gehabt, dass man, wenn man jemanden diskreditieren und herabsetzen will, dies auch mit einer Lobeshymne anfangen kann. Es ist ein Lob, das in den Ohren brennt und die Seele zum Gefrieren bringt. Frau Müller-R. ist erst bei der zweiten Seite. Seit einiger Zeit spricht sie von sich immer im Plural, nannte man das nicht pluralis majestatis? Ihre Worte klirren in diesem eisigen Raum. Es gibt kein Entkommen. Ich war der Frage der Theodizee noch nie so nah.
Auch bei dem CDU-Mann neben mir ist die Verzweiflung greifbar. Wir sind Verbündete! Geschwister im Geiste!
„Unterstützen Sie unseren Antrag auf eine Redezeitbeschränkung?“, wispert der CDU-Mann mir zu. Es gibt Hoffnung! Und dieser wunderbare Mann neben mir ist der Hoffnungsträger (Frau Müller-R. redet nun schon seit 10 Minuten). „Oh mein Gott, ich will“, hauche ich dem Heilsbringer entgegen. Wir sind die Robin Hoods dieser Gesellschaft, also ich und die CDU. Wir befreien uns vom Diktat des Kommunismus.
Der Oberbürgermeister greift unseren Antrag dankbar auf. Frau Müller-Marx wird unterbrochen und darf nur noch „unsere“ vier Ergänzungen verlesen. Ich fühle mich der CDU ganz nahe, ich erzähle dem CDU-Mann, dass ich mal Ministrantin war und meine Mutter katholische (!) Religion unterrichtet hat. Wenn wir uns mal besser kennen, werde ich ihm erzählen, dass mein Vater Vergnügungswart der Ortsgruppe der CDU in Lützelsachsen war (Dass mein Vater Vergnügungen für Teufelszeug hielt und ich die ihm verehrte in Anbetracht seiner Dienste für die CDU geschenkte Thuja habe fällen lassen, werde ich verschweigen). Ich verspüre aufkommende Trauer um den verstorbenen Bundeskanzler. Er war einer von uns.
Ich habe die Sitzungsunterlagen wie eine Decke auf meinen Beinen ausgebreitet. Papier wärmt. Der Oberbürgermeister hat seine Jacke wieder angezogen
Es werden nur noch Anträge verlesen. Lustigerweise stellt ein anderer Bezirksbeirat genau den gleichen Antrag wie wir. Der Unterschied wird nur später sein, dass man unsere Anträge einzeln abstimmen wird, es gibt einfach zu viele Menschen, die nicht nach Hause und die Anträge des anderen als Paket abstimmen wollen. Ein anderer Bezirksbeirat stellt den Antrag, dass die Beschlüsse des Gemeinderates umzusetzen sind. Das finde ich irgendwie witzig. Das ist irgendwie wie „Ihr habt es aber versprochen…“.
Es kommt nur noch eine kritische Situation, als es um das Abstimmen geht. Ich habe ja nun verstanden, warum wir alle hier sind. Aber die Anträge von Frau Müller-Marx sind sehr verworren. So mit Schachtelsätzen. Ich muss ein wenig an Mark Twain denken und seine Beschreibung der deutschen Sprache.
Ich sehe von ferne zwei Menschen stehen mit Papier und Bleistift bewaffnet, die offensichtlich das Abstimmungsverhalten protokollieren. Ein heikler Moment. Ich möchte ja meine neuen Freunde von der CDU nicht gleich enttäuschen. Die CDU ist aber immer dagegen. Ich möchte aber auch nicht wie die Grünen abstimmen. Die sind immer dafür. Die SPD ist flexibel. Also schiele ich, bevor ich den Arm hebe, nach der SPD und schließe mich an. Ich muss leider meine neuen Freunde enttäuschen.
Dies erweist sich später als eine weise Entscheidung. Nach der Sitzung werde ich von der mitschreibenden Frau zu meinem Abstimmungsverhalten befragt. Ich versuche in paar große Worte von mir zu geben, im Sinne meines Stadtteils…. und all der Bürgerinnen und Bürger, deren Vertrauen ich genieße…
- Posted by GAL (ck)
- On 1. August 2017