Neujahrsempfang der GAL – Zwischen Armut, sozialen Fragen und fehlender Planung
Endlich konnte der GAL Neujahrsempfang am 06.01.2023 nach der zweijährigen Corona-Zwangspause wieder im DAI stattfinden. Über 80 Gäste fanden sich ein und hörten Jörg-Schmidt-Rohr, vom Heidelberger Bündnis gegen Armut und Ausgrenzung und GAL Mitglied, Stefanie Burke-Hähner, Geschäftsführerin AWO Kreisverband und Gerd Schaufelberger, Vorstand Jugendagentur, zu, die über die soziale Situation, Angebote und Defizite in Heidelberg sprachen.
Die Veranstaltung wurde musikalisch begleitet von Sigi Geiberger, Tenorsax, Michael Herzer, Kontrabass und Gunter “Ruit” Kraus, Gitarre.
Rhein-Neckar-Zeitung 07.01.2023
Redebeitrag vom GAL Vorstand Gerd Guntermann:
Liebe Leute,
für das Foto auf dem Einladungsschreiben zu unserem Neujahrsempfang haben wir den Diakonie-Laden „Brot und Salz“ in einem Hinterhof der Plöck, unserer „Sozialgasse“ in der Altstadt, ausgesucht. Solche Läden, Tafeln, aber auch Pfandhäuser und Schuldnerberatungsstellen, boomen derzeit.
Dafür sind u.a. zwei Trends verantwortlich: Erstens dringt die relative Einkommensarmut zur Mitte der Gesellschaft vor. Davon sind Menschen betroffen, für die es bisher nie ein Thema war. Zweitens schlägt diese relative Einkommensarmut leichter in absolute, existenzielle Armut um. In diesem Winter dürften sich Räumungsklagen und Zwangsräumungen häufen, Wohnungs- und Obdachlosigkeit zunehmen. Das heißt: Armut nimmt zu, sie ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern nur Teil eines größeren Problems: die Spaltung der Gesellschaft, die verstärkt wird durch die Pandemie, die Energiepreisexplosion und die Inflation. Wer über Armut spricht, darf den Reichtum nicht außer Acht lassen. Wer Armut bekämpfen will, muss den Reichtum antasten. Unter den Hochvermögenden befinden sich auch Krisengewinnler, auch Kriegsgewinnler, die selbst in schwierigen Zeiten noch reicher werden. Diese Ungleichheit ist ein konstitutives Merkmal der kapitalistischen Gesellschaft.
Wenn sich die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft und die Ungleichheit der Vermögen fast so extrem wird wie in den USA, schwindet der soziale Zusammenhalt, die Gesellschaft driftet auseinander, was wiederum den Rechtsextremismus befördert.
Durch Klimakatastrophe, Zerstörung der Biodiversität, Pandemie und jetzt auch noch durch den verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erleben wir geradezu eine Krisenkaskade. Meine Hoffnung: dass durch die Verschärfung der Krisen mehr soziale Sensibilität entsteht. Ich habe den Eindruck, dass die Themen „Armut“ und „soziale Ungleichheit“ gerade viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, was sich auch an unserer Veranstaltung zeigt. Armut wird nicht mehr als Randgruppenproblem abgetan.
Alles hängt mit allem zusammen: wir können es uns nicht mehr leisten, unseren Planeten ökologisch auszupowern und damit weitere Armut zu generieren. Mit zerstörten Böden kein Brot, mit vergifteten Ozeanen kein Salz…
Und nicht zu vergessen: der heutige Feiertag, Dreikönige: an diesem Tag sollen laut biblischer Erzählung drei wohlhabende Typen einem Kind ihre Referenz erwiesen haben, das in einem Dreckloch, einem Stall, zur Welt gekommen war, Kind armer Schlucker, marginalisiert, von dem nie materieller Reichtum zu erwarten war. Diese Geschichte gehört zu unserem immateriellen Erbe, darüber lässt sich im Zusammenhang Armut-Reichtum trefflich philosophieren, auch im Zusammenhang mit weihnachtlichem Überkonsum.
So, jetzt habe ich ein bisschen Überbau geliefert, jetzt dürfen sich die Podiumsteilnehmer das auf die kommunale Heidelberger Realität ‚runterbrechen. Manege frei!
- Posted by GAL (ck)
- On 9. Januar 2023