Project Description
Rhein-Neckar-Zeitung 27.02.2023
Redebeitrag von Gerd Guntermann:
Als ich 2015 das letzte Mal in Simferopol war, Heidelbergs Partnerstadt auf der Krim, konnte man sich auf den Märkten T-Shirts kaufen, entweder mit Putins Konterfei und der Aufschrift „Die Krim gehört uns“, oder mit dem Konterfei des Mannes, in dessen Fußstapfen Putin tritt: Stalin, neben Hitler der größte Verbrecher, von dem die Menschheit heimgesucht wurde, „verdienter Mörder seines Volkes“, wie ihn Bert Brecht bezeichnete.
Nach all den Stalinschen Verbrechen, nach Millionen von Deportierten, Verhungerten, Erschossenen, Gefolterten, Denunzierten geruht der aktuelle Moskauer Führer, Stalin als Vorbild zu preisen wie hier mit dem Spruch [ich zeige ein T-Shirt mit Stalins Konterfei und der Aufschrift]: „Unsere Sache ist gerecht. Wir werden siegen!“ und auf der Rückseite mit Hammer und Sichel, Symbol des Sowjetimperiums. Heute kann der Hammer als Symbol der Wagner-Soldateska dienen, mit dem sie ihren Deserteuren die Schädel zertrümmert, die Sichel als Symbol für den Tod, den Putin über die Ukraine bringt.
April 2022: Ich werde vom Tod meines Freundes Sergej Turpetko informiert. Sergej stammte aus Simferopol und war nach der Annexion der Krim wie 40 000 andere, darunter viele Krimtataren, aufs ukrainische Festland emigriert. Dort wurde er von russischen Mörderbanden umgebracht.
Rückblick: 1994 garantiert Russland im Budapester Memorandum die Respektierung der bestehenden Grenzen der Ukraine. 2008 wird nochmals im weiter verlängerten russisch-ukrainischen Grenzvertrag die territoriale Integrität der Ukraine garantiert.
Heute: Das Moskauer Regime hat gelogen, der Westen hat sich belügen lassen. Heute ist Putins Russland das, was die Sowjetunion war: eine Diktatur. Deren Merkmale: Verfolgung von Oppositionellen, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Überwachung, politische Justiz, Folter, Verschleppung, Zwangsadoptionen, politischer Mord, Militarismus bis hin zur Indoktrination von Kindern. Aus den Trümmern der Sowjetunion will Putin ein Imperium wiederbeleben, das sein orthodoxer Handlanger Kyrill II zum Bollwerk gegen westlichen „Verfall“ und „Gayropa“ verklärt. Bausteine dieser Ideologie sind Versatzstücke aus Nationalismus, Kommunismus, religiösem Fanatismus und Monarchismus ebenso wie Hass, Gewalttätigkeit und Minderwertigkeitskomplexe.
Heute tragen in Russland Nationalisten und Kommunisten einträchtig Zaren- und Stalin-Bilder nebeneinander her. Diese rot-braune Melange ist Teil der offiziellen Kreml-Politik.
Die Menschen in der Ukraine hingegen streben Freiheit an. Es überrascht nicht, wenn Putin das verhindern will. Es ist in unserem Interesse, die Ukraine zu unterstützen, und es geht um unsere Glaubwürdigkeit. Wollen wir den Krimtataren, den Menschen im ausgeplünderten Cherson und im zerschossenen Charkiv, den Hippies von Lwiv, den Schwulen von Kiev und den Umweltschützern im Donau-Delta erklären, dass sie wieder mal Pech haben, dass sie ihr Schicksal zu erdulden hätten als Preis für einen Frieden unter einem Kreml-Herrscher, der wie seine Vasallen schon mehrfach mit der Atombombe gedroht hat?
In Berlin wie in Heidelberg kursiert ein sogenanntes „Manifest für den Frieden“, das mit viel pazifistischer Rhetorik genau darauf abzielt. Es ist ein Dokument der Ignoranz, der Angst und der Eiseskälte gegenüber den Ukrainern.
Wer sollte Putin die Stirn bieten, wenn nicht wir in den westlichen Staaten? Die Ukraine muss sich verteidigen können – auch mit Panzern und Flugzeugen. Das zu sagen deprimiert, denn auch das sind Tötungsmaschinen. Doch solange die Ukraine um das kämpft, was wir haben und beschützen sollten, die Freiheit, solange kann Pazifismus keine Lösung sein.
Zur christlichen Prämisse „Du sollst nicht töten“ gehört auch „Du sollst nicht töten lassen“.
Slava Ukraini!