Rede von Stadtrat Michael Pfeiffer zum ÖPNV – Ticket in der Gemeinderatssitzung am 20.07. sowie ein Interview im rontv am 21.07.22
„Auch von mir zunächst einmal ein großes Dankeschön an Frau Sauer und ihr Team sowie alle anderen Mitwirkenden bei den neuen Berechnungen.
Im März ging ein Sachantrag der GAL mit 12:2 Stimmen durch den AKUM. Damals wurde mit großer Mehrheit beschlossen, die Kosten für ein Verbundticket nur für HD-Pass und HD-Pass+ Berechtigte zu berechnen. Ich hatte damals den Eindruck, dass dieses Abstimmungsergebnis auch ein Votum dafür sei, insbesondere einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger, die durch Inflation und höhere Energiepreise noch weiter ins soziale Abseits rutschen, zu entlasten, womit nicht nur die von meinen KollegInnen wie Kaugummi durch die Argumentationsreihe gezogenen „jungen Familien“ gemeint sind.
Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass in Zeiten des Ob-Wahlkampfes nun jeder noch eins draufsetzen muss bzw. sich an neue Anträge dranhängt, um nicht abgehängt zu werden. Die GAL gibt Ihnen mit dem nun gestellten Antrag die Möglichkeit, über ein sozial ausgewogenes und faires ÖPNV Ticket, das, wie mir von Fachleuten gesagt wurde, unter Berücksichtigung der Haushaltslage und des Angebotes vernünftig ist, mitzugehen.
Ich stelle daher den Antrag, „Der ÖPNV führt für alle HD-Pass und HD-Pass+ Berechtigten, und deren Kinder bis zum 21. Lebensjahr sowie für Seniorinnen und Senioren Ü 60 mit HD-Pass und HD-Pass+ ein verbundweites Monatsticket für 3€ ein.
Es ist heuchlerisch, wenn man sich als besonders verantwortungsvoll zeigt, wenn man von „jungen Familien“ spricht und damit alle jungen Familien einbezieht. Die Frage ist doch, was Sie mit jungen Familien meinen. Anscheinend alle und damit sind wir an dem Punkt angelangt, wo wir nicht mitgehen können. Ich kenne genug Familien und Sie sicherlich auch, die sich auch trotz Inflation und höherer Energiepreise die ganz normalen Tickets leisten können, die nicht Existenzängste haben, wenn die Energiekosten steigen und die Inflation steigt. Durch Ihren Beschluss entlasten Sie diese Familien nicht wirklich, sondern belasten nur unseren Haushalt.
In der Begründung wird geschrieben, bei unter 18-Jährigen werden die Ziele verfolgt, die intergenerative Gerechtigkeitslücke und die soziale Gerechtigkeitslücke zu schließen sowie gleichzeitig umweltgerechte Mobilitätsroutinen zu etablieren und zu festigen. Wie ist das mit der Generationenverschuldung vereinbar? Letztendlich zahlen doch die heute Jugendlichen die Zeche. Soviel zum Thema soziale Gerechtigkeitslücke.
Ich denke wir sind uns einig, auch wenn Sie in der Öffentlichkeit immer wieder den ökologischen Mehrwert als 2. Argument nach dem sozialen Aspekt erwähnen, dass durch diese Maßnahme keine deutlich spürbare Entlastung für den Klimaschutz gegeben ist. Dieter Teufel vom Umwelt- und Prognose Institut Heidelberg hält diesen Beschluss, sollte er gefasst werden, für „kontraproduktiv“. Denn er führe dazu, dass die Jugendlichen weniger Rad und mehr Bus und Bahn fahren. Der Klima-Effekt sei gleich null, dafür würden die volleren ÖPNV-Fahrzeuge die Menschen vergraulen, die sich zum Beispiel gerade ein Jobticket gekauft hätten, um vom Auto umzusteigen. Fragen Sie doch hierzu die Experten, was sie zu den Anträgen halten, die vom OB oder von einer Mehrheit dieses Gremiums zur Abstimmung vorliegen. Wenn Sie den sozialen Aspekt so betonen dann entlasten Sie doch diejenigen, für die es existentiell ist, einen günstigeren Tarif zu bekommen.
Ich habe zwischenzeitlich den Eindruck, der mir auch von vielen Bürgern und Bürgerinnen bestätigt wird, dass es nur noch darum geht, seine Kandidatin bzw. seinen Kandidaten für die OB-Wahl in eine gute Position zu bringen. Koste es was es wolle. Nicht Ihr Geld, sondern das von uns allen. Ich bin froh, dass wir keinen Kandidaten stellen und unsere Entscheidung mit Maß und Vernunft und ohne Wahlkampfgedanken treffen können.
Sollten wir nicht an die Aufgaben denken, die vor uns liegen? Die gestiegenen Baukosten werden nicht nur dafür sorgen, dass wir das Verbundnetz des ÖPNV nicht mehr in dem Maß finanzieren können, wie wir uns das wünschen. Auch die Baukosten für Brücken und neu Kitas werden teurer. Schulsanierungen stehen an und der Ausbau vieler Mensen, damit die Kinder in den Schulen nicht im Klassenzimmer oder auf dem Gang ihr Essen zu sich nehmen müssen. Wäre es nicht für junge Familien gut, wenn ihre Kinder in Schulen mit sauberen sanitären Anlagen, mit ausreichend Klassenzimmern und einer Wohlfühlumgebung beim Essen ihren Schulalltag bewältigen könnten? Hätten die Kinder und Jugendlichen ihrer so oft zitierten „jungen Familien“ davon nicht mehr, als ein nahezu kostenloses Monatsticket?
Unser vor langer Zeit beschlossenes Verkehrskonzept („Beruhigung der Altstadt“) steht still mit dem Argument der gestiegenen Kosten. Im Gegensatz zu unserer Partnerstadt Montpellier, die unser Ob ja als Initialzündung für den kostenlosen ÖPNV genutzt hat, sind wir da hinterwäldlerisch. Ach ja, in Montpellier beteiligen sich die Firmen auch an den ÖPNV – Kosten. In diese Richtung traut man sich in HD gar nicht zu denken.
Eigentlich planen wir doch eine Verkehrswende. Berufsverkehr reduzieren, Radwege sichern und ausbauen und die Entwicklung der Konversionsflächen mit vielen neuen Gebäuden, Straßen und Sportanlagen.
Dafür brauchen wir nicht nur viel Geld sondern auch Personal. Wieviel kosten denn 20 dringend benötigte Mitarbeiterstellen beim Verkehrsmanagement, um nur von einem Amt zu sprechen? Im nächsten Haushalt, und das hatten wir uns fest vorgenommen, wollen wir doch gerade die mehr als angespannte Personalsituation verbessern, um diese leidigen Mails unserer Verwaltung, unseres OB´s , dass Vorlagen nicht bearbeitet werden können, weil kein Personal da ist, nicht mehr lesen zu müssen.
Wie lange haben wir im AKUM über den ÖPNV diskutiert, bei dem es um 8-10 Mio € ging und wie lange anschließend um 1,5 Mio Fördergelder für Balkonmodule, bei denen von Herrn Schmidt-Lamontain die Frage gestellt wurde, ob wir denn noch so viel Geld zur Verfügung haben? Für eine Klimamaßnahme, die schnell umgesetzt werden könnte, den Nutzern und Nutzerinnen ca. 90 € im Jahr erspart und die nicht nur sozial, weil für HD-Pass und + Berechtigte kostenlos und für alle anderen für 50 % zu erhalten ist, sondern auch grünen Strom liefert.
Ich werde Sie bei den nächsten Haushaltsberatungen daran erinnern, wenn wieder ein Ranking der Baumaßnahmen an Schulen aufgrund der angespannten Haushaltslage erstellt wird, wenn es wieder an Geld und Personal mangelt. Dann dürfen Sie den „jungen Familien“, Schulleitern und Schulleiterinnen erklären, warum ihre Schule wieder nicht zum Zuge kommt, weil nicht ausreichend Geld vorhanden ist. Ich kann Sie nun nur noch einmal inständig bitten, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Ich denke, dass uns im Herbst noch eine Welle von zurzeit noch gar nicht absehbaren Maßnahmen mit hohen Kosten überrollen wird, wenn es darum geht, einigermaßen über den nächsten Winter zu kommen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und denke, es wird möglicherweise so weit kommen, dass die Verwaltung nur noch die Basisarbeit durchführen kann und wir die vielen netten und gut gemeinten kulturellen, sozialen und baulichen Projekte, die wir uns sicherlich gerne leisten, überdenken müssen. Zum Schluss noch einmal mein Appell: Entscheiden Sie nicht danach, wie Sie Ihren OB-Kandidaten am besten an den Start bringen können, sondern nach Argumenten und Haushaltslage. Sollte die ÖPNV- Vorlage, egal ob kostenlos oder mit 3 € für alle durchgehen, so möchte ich jetzt schon unserem Oberbürgermeister für diesen hervorragenden und strategisch cleveren Schachzug gratulieren. Nicht SPD oder Grüne werden in der Bevölkerung als Ideengeber wahrgenommen werden. Danke.“
Michael Pfeiffer wurde zum Thema „Kostenloser ÖPNV“ nochmals (1. Interview am 06.07. https://www.rontv.de/sendung-vom-06-07-2022/ gleich am Anfang) vom rontv interviewt: https://www.rontv.de/sendung-vom-21-07-2022/ ab 10:03 Minuten
- Posted by GAL (ck)
- On 26. Juli 2022