Terranets sieht „keine Alternative zu unserer Erdgasleitung“
Katrin Flinspach, Geschäftsführerin von Terranets BW, spricht über den Zweck des geplanten Bauvorhabens und den Widerstand dagegen.
Die Süddeutsche Erdgasleitung könnte durch die Rohrbacher Weinberge führen. Bereits 2004 genehmigte das Regierungspräsidium Karlsruhe einen entsprechenden Raumkorridor. Wo genau die Leitung verlaufen würde, klärt jedoch erst ein Planfeststellungsverfahren. Foto: Rothe
Von Philipp Neumayr und Sarah Hinney
Heidelberg. Die Süddeutsche Erdgasleitung (SEL) soll künftig durch Heidelberg und seine Nachbarkommunen führen. Doch wie schon beim ersten Anlauf in den 2000er Jahren regt sich Widerstand gegen den Bau der Leitung. Katrin Flinspach ist Geschäftsführerin des Transportnetzbetreibers „Terranets BW“, der die Leitung plant und baut. Im RNZ-Interview erklärt Flinspach, wieso sie das Projekt für alternativlos hält, und warum sie optimistisch ist, Bürgerschaft und Politik doch noch davon zu überzeugen.
Frau Flinspach, Sonne, Wasser, Wind gelten als die Energien der Zukunft. Sie wollen eine Leitung zum Transport von Erdgas bauen. Warum?
Es geht um das Thema Versorgungssicherheit. Wir befinden uns in einer Übergangszeit und brauchen Erdgas als Brücke in ein komplett klimaneutrales System. Das unterstreicht auch der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs bietet der Energieträger Gas die Möglichkeit, die Stromnachfrage weiterhin zu bedienen, auch wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Das gilt gerade für uns im Süden des Landes. Seit Jahren verzeichnen wir eine steigende Nachfrage in unserem Netz. Es ist am Limit. Und das wird sich so fortsetzen.
Was macht Sie da so sicher?
Das zeigt uns die Bedarfsprognose unserer Kunden. Sie fließt in den nationalen Netzentwicklungsplan ein, den wir mit anderen Energienetzbetreibern alle zwei Jahre erstellen. Auf dieser Grundlage werden die erforderlichen Netzausbaumaßnahmen in ganz Deutschland definiert. Und wenn die Bundesnetzagentur diese Maßnahmen verabschiedet, sind sie von uns als Energienetzbetreiber verpflichtend so umzusetzen.
Erdgas besteht aus dem klimaschädlichen Gas Methan. Dieses wird bei der Förderung und beim Transport von Erdgas oft in großen Mengen freigesetzt. Experten sind sich inzwischen weitgehend einig, dass der Verbrauch von Erdgas deutlich sinken muss, will man die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Sie bezeichnen die SEL trotz alledem als „umweltfreundlich“. Wie kommen Sie darauf?
Sie ist deswegen umweltfreundlich, weil der leitungsgebundene Energietransport an sich wesentlich umweltfreundlicher ist als andere Formen des Energietransports, etwa mit dem Schiff. Wir müssen sehen, was wir an klimaschädlichen Emissionen einsparen können im Vergleich zu bestehenden Energieträgern wie Kohle oder Öl. Erdgas verursacht da deutlich weniger CO2. Zudem haben wir in Baden-Württemberg eine Sondersituation.
Nämlich?
Wir befinden uns in einer Energiesenke, haben die erneuerbaren Energien also nicht direkt vor der Haustür. Daher haben wir in der Vergangenheit ja viel auf Atomkraft und Kohle gesetzt. Die Atomkraftwerke gehen vom Netz, die Bundesregierung will den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen – und gleichzeitig fehlt es an großen Trassen, die den aus Wind produzierten Strom vom Norden in den Süden bringen.
Und der Bau einer Erdgasleitung ist die einzige Lösung, um dem zu begegnen?
Wir sind uns einig, dass Erdgas ein fossiler Energieträger ist und dass dieser am Ende des Tages aus unserem Energiesystem verschwinden sollte. Aber für den Übergang bietet er eben eine gute Ergänzung zu den erneuerbaren Energien und kann eine Brücke in die Zukunft bauen. Ich sehe im Moment keine Alternative zu unserer Erdgasleitung.
Wie erklären Sie sich dann, dass die vom Bau der Leitung betroffenen Gemeinden, die ja selbst auf eine zuverlässige Energieversorgung angewiesen sind, das Projekt so kritisch sehen?
Viele der Gemeinden entlang der SEL erkennen die Notwendigkeit der Gasleitung, einige Kommunen sind kritisch eingestellt. Das ist auch historisch bedingt, denn die Leitung wurde ja wegen Protesten schon einmal nicht umgesetzt. Aus unserer Sicht ist eine öffentliche Auseinandersetzung auch legitim. Wir sind uns, denke ich, alle einig darin, dass erneuerbare Energien die Zukunft sind. Es gibt nur verschiedene Meinungen, wie man dorthin kommt.
Sie versprechen einen ressourcenschonenden Netzausbau. Dieser wird aber nicht ohne Eingriffe in die Natur vonstattengehen. Können Sie verstehen, dass etliche Bürger besorgt sind?
Ja, ich verstehe die Sorge jedes Einzelnen. Deshalb haben wir sehr früh und transparent mit der Öffentlichkeitsbeteiligung begonnen. Wir wollten den Bürgern die Möglichkeit geben, sich einzubringen. Diese Veranstaltungen waren auch für uns wertvoll, weil wir viele Hinweise bekommen haben von Menschen, die sich vor Ort auskennen. Was aber oft vergessen wird: Dass wir als Leitungsnetzbetreiber eine Verantwortung tragen – für den Klimaschutz, aber auch für die Versorgungssicherheit.
In Heidelberg kommt der Widerstand vor allem von Winzern im Stadtteil Rohrbach. Sie sorgen sich, dass durch den Leitungsbau ihre jahrzehntealten Reben zerstört werden. Wieso muss die Leitung ausgerechnet durch ihren Wingert führen?
Wir untersuchen Alternativen. Wir wissen noch nicht, ob man das vermeiden kann.
Auch Landwirte fürchten, dass sich die Leitung negativ auf ihre Ernte auswirken könnte. Was sagen Sie denen?
Unsere Erfahrungswerte zeigen, dass es im Ertrag keine Einschränkungen gibt. Der Boden wird nach dem Verlegen der Leitung in der Reihenfolge wieder verfüllt, in der er auch entnommen wurde. Bei ähnlichen Projekten von uns habe ich mir danach die jeweiligen Trassen angesehen: Sie können den Leitungsverlauf anhand der Vegetation nicht erkennen.
Dort, wo die Erdgasleitung verlaufen soll, gibt es auch Kleingärtner, die seit Jahrzehnten ihr geliebtes Schrebergarten-Grundstück bewirtschaften – oft sehr kleine Parzellen mit alten Baumbeständen. Müssen diese Bäume der Leitung am Ende weichen?
Wenn die Leitung dort durchführt, müssten die Bäume weg. Allerdings kann daneben ein neuer Baum gepflanzt werden.
Daneben?
Ja, jeweils zweieinhalb Meter neben der Leitung müssen gehölzfrei bleiben.
Ein Garten, der zehn Meter breit ist, wäre dann also Geschichte?
Ihre Tomaten können Sie natürlich auch weiterhin anpflanzen. Ich verstehe, dass das für jeden Einzelnen persönlich schlimm ist und wir versuchen, den Eingriff so gering wie möglich zu halten. Aber wir müssen die Energie transportieren und dafür brauchen wir eben auch die entsprechende Infrastruktur.
Werden die Grundstücksbesitzer enteignet, sollten sie nicht kooperieren?
Unsere Dialogangebote sind uns wichtig und ernst gemeint. In den allermeisten Fällen haben wir es bisher geschafft, die Menschen zu überzeugen, und man hat sich geeinigt. Rein rechtlich sieht das Energiewirtschaftsgesetz die Möglichkeit von Enteignungen vor. In der Praxis würde dem Eigentümer nicht das Grundstück weggenommen. Er müsste lediglich die Leitung dulden.
Nicht nur die Bürger, auch der Heidelberger OB und der Stadtrat sind gegen den Bau. Die Verwaltung will durch ein neues Raumordnungsverfahren einen anderen Trassenverlauf erreichen. Da das Regierungspräsidium den Antrag abgelehnt hat, prüft man nun juristische Schritte. Was spricht dagegen, das Raumordnungsverfahren neu aufzurollen?
Darüber zu entscheiden, ist Aufgabe des Regierungspräsidiums. Ich glaube, es ist gut vertretbar, kein neuerliches Raumordnungsverfahren durchzuführen, sondern auf jenes von 2004 zurückzugreifen, das 2019 – nach einer erneuten Beurteilung – ja noch einmal bewusst bestätigt wurde. Das heißt nicht, dass bestimmte raumordnerische Interessen nicht berücksichtigt werden sollen. Dafür ist allerdings das Planfeststellungsverfahren da. Es bietet die Möglichkeit, in bestimmten Bereichen mit hohen Raumwiderständen gegebenenfalls einen neuen Trassenverlauf festzulegen.
Was würde es für das Projekt bedeuten, wenn der Bau der Erdgasleitung vor Gericht ausgetragen werden müsste?
Unser Ziel ist es, den Bau der Leitung im Einvernehmen mit allen Beteiligten durchzuführen. Wenn Rechtsmittel eingelegt würden, ginge das nur gegen den Planfeststellungsbeschluss. Man müsste sehen, inwieweit dies das Projekt verzögern würde. Natürlich wäre es unerfreulich für uns, und auch für die Bürger, denn es wäre ein Risiko für die Versorgungssicherheit. Da zählt jedes Jahr der Fertigstellung.
Die Leitung soll 2026 in Betrieb gehen. Wie viel Zeit können Sie sich vor diesem Hintergrund überhaupt für die Information und Beteiligung der Bürgerschaft nehmen?
Die Bürgerinfomärkte haben im November 2021 stattgefunden. Den Input, den wir dort bekommen haben, nehmen wir in die Planung auf. Jetzt steht das Scoping an, das heißt, wir stellen dem Regierungspräsidium eine Umweltverträglichkeitsstudie vor. Das Regierungspräsidium stellt dann den öffentlichen Trägern vor, was wir machen wollen. 2023 soll der Planfeststellungsantrag eingereicht werden. Wir werden davor die Bürger noch einmal informieren, welche Wünsche umgesetzt werden können und welche nicht.
Sollte die Leitung einmal im Boden liegen – wie lange müsste sie eigentlich in Betrieb sein, um wirtschaftlich profitabel zu sein?
50 Jahre. Da wir weiter einen sehr hohen Energiebedarf haben werden, gehen wir aber davon aus, dass sie länger als 50 Jahre in Betrieb sein wird.
Und wenn dem Erdgas irgendwann der Hahn zugedreht wird?
Das Gute an der Leitung ist: Sie kann auch klimaneutrale Stoffe wie Biogas und Wasserstoff transportieren. Das macht sie zukunftsfähig auch für die Zeit nach dem Erdgas und zu einem wichtigen Baustein für die künftige klimaneutrale Versorgung des Landes. Wenn wir uns nicht sicher wären, dass die Leitung zukunftssicher ist, würden wir nicht investieren. Aktuelle Umfragen zeigen, dass in unserem Bundesland künftig auch ein großer Wasserstoffbedarf besteht. Daher muss jetzt geplant werden. Die SEL wird die Leitung sein, die den Wasserstoff nach Baden-Württemberg bringt.
Was ist hierzulande eigentlich schwieriger: der Bau eines Windrades oder der Bau einer Erdgasleitung?
Ein Windrad habe ich ehrlich gesagt noch nicht gebaut. Aber ich denke, es gibt einen wichtigen Unterschied: Das Windrad ist auch nach dem Bau für alle zu sehen. Über die Erdgasleitung dagegen wächst auch wieder Gras.
RNZonline Angebote 08.01.2022, 06:00 Uhr
- Posted by GAL (ck)
- On 10. Januar 2022