Thesen zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) von Hans-Martin Mumm
Thesen zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE)
1. Die Befürworter des BGE heben auf die Entkoppelung von Arbeit und Lebensunterhalt ab: Arbeit wäre nicht mehr Zwang, sondern werde freiwillig geleistet. Die Folgen für Arbeitsmarkt, Entgeltstrukturen und betriebliche Hierarchien wären weitreichend.
2. Die Diskussion um das Für und Wider dreht sich hauptsächlich um die sozialpsychologische Frage, ob mit dem BGE noch hinreichende Anreize bestünden, eine Arbeit aufzunehmen. Volkswirtschaftlich hat der Steuersatz auf das Arbeitseinkommen dabei eine Schlüsselrolle. Zur Gegenfinanzierung des BGE müsste der Steuersatz deutlich angehoben werden.
3. Zur Einführung des BGE soll der Sozialetat herangezogen werden: Die Summe aus den Leistungen der gesetzlichen Versicherungen, Sozialhilfe, Kindergeld und dgl. Ergänzend müsste auch die Besteuerung erhöht werden. Als Nebeneffekt ergäbe sich bei den Versicherungen und den Sozialämtern ein enormer Bürokratieabbau.
4. Eine Überschlagsrechnung ergibt (Basis 2015): Wenn 80 Mio. Anspruchsberechtigte monatlich 1000 € bekämen, ergäbe das ein Volumen von 960 Mrd. € im Jahr. Dem steht ein Sozialbudget von 888 Mrd. € gegenüber. Für die Differenz von 72 Mrd. € müsste die Steuerlast lediglich um 2,5 % erhöht werden. 1000 € reichen aber zur Existenzsicherung nicht aus; realistisch wäre ein Betrag von 1.500 € im Monat. Dafür müsste der Steuersatz angehoben werden; diskutiert werden verschiedene Modelle: Anhebung der der Progression auf 70 % oder ein einheitlicher Hebesatz von 50 %.
5. Wo umverteilt wird, gibt es Gewinne und Verluste. Vom BGE profitieren würden kinderreiche Familien, Rentnerinnen, Menschen außerhalb der Sozialsysteme, z.B. Obdachlose, sowie Beamte und vermögende Selbstständige. Umgekehrt könnten alle mit volatilem Einkommen – Arbeitslose, Beschäftigte in Kurzarbeit, Kranke, Behinderte etc. – die Leistungen des BGE nicht konsumieren, sondern müssten Rücklagen bilden zum Ausgleich der entfallenen Lohnersatzzahlungen. Bisherige Hartz-IV-Abhängige müssten sich bei Zuverdiensten nichts mehr abziehen lassen, würden also an Freiheit gewinnen; allerdings käme es in Ballungsgebieten zu Verlusten, weil die Wohnungskosten nicht mehr übernommen würden. Am schärfsten würde sich die Entkoppelung der Transferleistungen von den individuellen Einkommen auf die Altersrenten auswirken. Abgesehen von Betriebsrenten wären alle, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden, auf die Leistungen des BGE angewiesen. Viele Frauen beziehen nur Minirenten, die aufgebessert würden; bezogen auf die Haushaltseinkommen dürften die Verluste die Gewinne aber übersteigen. Gar nicht zu denken ist an die Beamtenpensionen. Grundsätzlich zu beachten ist, dass die Sozialversicherungen entfallen würden und allermindest die Krankenversicherung aus dem BGE zu bezahlen wäre.
6. Die Hauptidee de BGE ist, Sozialleistungen nicht von Bedürftigkeit abhängig zu machen. Abgesehen davon, dass damit das Leben grundsätzlich zum Lotteriespiel würde, sind Tausende von Fällen absehbar, in denen das BGE nicht reichen wird: Heimunterbringung von Kindern und Behinderten, Pflegefälle, aufwändige Operationen und Therapien etc. Erforderlich wären Härtefallregelungen, die neue Etats und wieder eine Bürokratie von Beamten, Ärztinnen und Entscheidern erfordern würden.
7. Es liegt in der Logik des BGE, dass der Wegfall der gesetzlichen private Versicherungen hervorbringt. Wer verantwortlich mit seinem Leben umgeht, würde sich weiterhin gegen Krankheit, Pflegefall, Arbeitslosigkeit und zur Altersversorgung versichern wollen. Die Prämien dafür würden die Leistungen des BGE weitgehend verbrauchen, zumal die bisherigen Arbeitgeberanteile wegfielen. Da die neuen Versicherungen freiwillig wären, blieben zahllose Einzelschicksale, für die die Leistungen des BGE nicht ausreichen würden. Vom Versprechen des Bürokratieabbaus bliebe nicht viel übrig.
8. Der Einführung eines BGE stehen unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen:
> Eine Einführung in Etappen ist ausgeschlossen.
> Der Widerstand in Teilen der Gesellschaft wäre unkalkulierbar groß.
> Die Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung sind völlig unklar.
> Der individuelle Rechtsanspruch auf die bestehende Altersversorgung würde eine Übergangsfrist von fünf Jahrzehnten erfordern; eine Zwischenfinanzierung hätte eine dramatische Staatsverschuldung zur Folge.
9. In einer Zeit, in der Individualisierung und Entsolidarisierung starke Trends geworden sind, enthält die Forderung nach einem BGE ein großes Heilsversprechen: Die Entkoppelung von Lebensunterhalt und Arbeit böte mehr Freiheit und die Entkoppelung von Transferleistungen und Bedürftigkeit mehr Gerechtigkeit. Mein Anliegen war es zu zeigen, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
10. Zum Schluss ein Zitat von Georg Cremer, VWL-Professor in Freiburg und langjähriger Generalsekretär der Caritas:
„Der vielleicht problematischste Aspekt der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist die Diskreditierung des heutigen Sozialstaats. Wer meint, alle Probleme lösten sich mit dem Grundeinkommen, verabschiedet sich aus dem Dialog zur praktischen Sozialpolitik. … Die Wünsche nach mehr Freiraum für Kreativität, nach sinnstiftender Arbeit und wertschätzenden Arbeitsbedingungen, nach Raum für Versuch und Irrtum sollten wir ernst nehmen. … All dies sind wichtige Anliegen für eine lebensdienliche Wirtschafts- und Sozialordnung. Aber auch hier kommen wir einer Lösung nur näher durch gangbare Schritte der zähen reformerischen Alltagsarbeit.“
Zum Weiterlesen: Das bedingungslose Grundeinkommen. Zum Für und Wider eines gesellschaftspolitischen Reformkonzepts. Mit Beiträgen von Thomas Straubhaar und Georg Cremer, mit Interviews mit Korbinian von Blanckenburg und Dominik H. Enste, hg. vom Roman-Herzog-Institut, München 2019. Das Zitat dort S. 25.
Hans-Martin Mumm, Knösel, November 2019
- Posted by GAL (ck)
- On 5. November 2019