Ein Schauspiel in der Bahnhofstraße
Von unserem Mitglied Dietrich Hildebrandt
Denen, die in der Bahnhofstraße wohnen, bietet der Abriss der ehemaligen Justizgebäude ein aufregendes und auch beklemmendes Schauspiel. Wer diesen Abriss nicht von seinem Wohnzimmerfenster aus beobachten kann, sollte sich die Zeit nehmen, vorbeizukommen und einfach mal zuschauen.
Mit einem großen Aufgebot an schwerem Gerät, Bagger in verschiedenen Größen, die wie Riesensaurier agieren, ist die Abrissfirma angerückt. Wer sieht, wie einfache, leichte Metallschienen natürlich von einem Bagger umgeschichtet werden müssen, also die Arbeit mit großem maschinellen Aufwand und mit nur einer Arbeitskraft verrichtet wird, könnte leicht zu falschen Schlussfolgerungen gelangen. Auf der anderen Seite überwiegt nämlich die einfache archaische Handarbeit. Die Gebäude zu ihrer Zeit mit modernsten Methoden mit industriell vorgefertigten Bauteilen in kurzer Zeit hochgezogen, müssen nun mit mühevoller handwerklicher Kleinarbeit und Einsatz von Muskelkraft abgebaut werden. Dass sie eher wie Pavillons aussahen, also wie Gebäude, die man zu irgendeiner Weltausstellung errichtet und dann wieder abreißt, könnte darüber hinwegtäuschen, dass sie von Anfang an durchaus für eine längere Zeit der Verwendung vorgesehen waren und auch entsprechend stabil gebaut wurden. Wie auch? Wer hätte geplant, dass sie nach nur 40 Jahren wieder abgerissen werden?
Man sagt, die Energiebilanz sei nicht besonders gut gewesen. Das wird stimmen. Aber wie ist es mit der Energiebilanz von Abriss und Neubau? Vielleicht hätte es eine Solaranlage auf dem Dach auch erstmal getan. Dass die in den alten Gebäude arbeitenden Menschen vor schädlichem Asbest bewahrt werden müßten, war das immer wieder klagend vorgetragene Argument für den Abriss und für einen Neubau. Jetzt erklärt man den besorgten Anwohnern, die nach Schutz vor dem durch den Abriss freigesetzten Asbest fragen, es gebe überhaupt kein Asbest mehr! Das mit dem Asbest ist nicht das einzige Manöver, mit dem das ganze Projekt mit vereinten Kräften der Landesjustizverwaltung, der Baufirma und der Heidelberger Stadtverwaltung durchgezogen wird.
Die Gebäude, die jetzt abgerissen werden, sind bekanntlich 1968 gebaut worden, auf einem Gelände, dass durch die Verlegung des Bahnhofs frei geworden war. Manche fanden sie häßlich. Kann sein. Aber das ist die Architektur, die zu der Zeit modern war. Die Frage ist nur, wie kann es sein, dass ein Gebäude schon nach 40 Jahren aufgegeben wird, und alle Beteiligten erklären, dass sie davon einen Gewinn haben?
Nehmen wir an, eine Familie baut sich ein Haus, ein Eigenheim. Vielleicht nach 35 oder 40 Jahren wird sie ihr Heim schuldenfrei gestellt haben.Und dann wird es einfach abgerissen und ein neues gebaut? Selbstverständlich nicht!
Aber wieso geht sowas im Falle des Justizgebäudes?
Einmal weil öffentlicher Raum privatisiert wird, und zwar so viel wie nur eben geht, und dafür wird rücksichtslos eine Straße mit gewachsenem Baumbestand geopfert, die im urbanen Zentrum der Stadt ein Schmuckstück hätte werden können. Darüber hinaus muß das Justizzentrum, um die Vermarktung des privatisierten Raumes so gewinnbringend wie möglich zu machen, so wenig wie möglich Quadratmeter verbrauchen. Das wird also im Vergleich zur Umgebung ein riesiger plumper Quader. Zum zweiten, was das Land betrifft, wird gar nicht so viel gespart, ganz im Gegenteil. Die Strabag AG finanziert den Bau vor, das ist alles, und sie läßt sich das natürlich auch gut bezahlen. Inzwischen ist das Monopoly ja schon im Gang und das Gebäude an eine Investmentfirma verkauft, deren Geschäftsziel die bloße produktionslose Rendite ist.
Es geschieht, was oft geschieht. Es wird Gebrauchswert vernichtet, um den Tauschwert zu erhöhen. Meistens heißt das „Wachstum“!
„Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder“ hieß ein in den 70er Jahren weit verbreitetes Kinderbuch. In wundervollen detailreichen Bildern schilderte der Autor Jörg Müller die „Veränderung der Landschaft“ und die Veränderung der Städte, die dann insgesamt so aussehen wie bald die Bahnhofstraße.
Bemerkenswert ist, dass Jörg Müller Schweizer ist. Das heißt, nimmt man die Schweiz als Beispiel, so braucht man gar nicht die Zerstörungen des Bombenkrieges, um zum neuen Bauen zu finden. Das Vorhandene wird zum bloßen Hindernis und kann, und muss auch so weggeräumt werden.
So wird der wirklich sehenswerte Abriss in der Bahnhofstraße zum Sinnbild eines Städtebaus unter Bodenspekulation. Man sollte sich den Anblick nicht entgehen lassen.
