Sechs Hoffungen oder Erwartungen an die Soziale Stadtentwicklung hat der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik, Herr Hahn, in seinem Beitrag beim Neujahrsempfang der GAL benannt:
1. Soziale Stadtentwicklung erhält die erforderlichen Ressourcen
2. Soziale Stadtentwicklung wird als Daueraufgabe angesehen
3. Soziale Stadtentwicklung ist eine Aufgabe für alle Stadtteile und nicht nur für benachteiligte Stadtquartiere
4. Soziale Stadtentwicklung fordert von den Bürgern Eigenverantwortung
5. Viele Akteure der Zivilgesellschaft bringen sich intensiv ein
6. Es findet ein breiter öffentlichen Diskurs um die Ziele und Maßnahmen einer Sozialen Stadt- und Stadtteilentwicklung statt
Anbei die ganze Rede
Neujahrempfang der GAL am Freitag, den 6. Januar 2012
Soziale Stadtentwicklung in Heidelberg
Joachim Hahn, Amt für Stadtentwicklung und Statistik.
Guten Tag meine sehr geehrten Damen und Herren.
Vielen Dank für die Einführung. Ich möchte mich ganz herzlich für die Einladung bedanken, heute über „Soziale Stadtentwicklung in Heidelberg“ sprechen zu dürfen.
Wenn ich die gedachte Abfolge der Beiträge heute richtig interpretiere, kommt mir die Funktion eines Intermezzos zu, eines Zwischenspiels während des Umbaus der Kulissen von der theoretischen, grundsätzlichen Ebene hin zu konkreten Projekten vor Ort. Nach dem sehr beeindruckenden Vortrag von Herrn Professor Strunk keine leichte Aufgabe.
Ich will versuchen diese Brücke zu schlagen und eine Plattform zu bereiten für die nachfolgenden Berichte der Projekte. Dabei ist meine Perspektive die eines Stadtentwicklers, die sich durchaus von der anderer Fachdisziplinen zu unterscheiden mag.
Städte leben. Sie entwickeln sich über Jahrhunderte. Sie verändern sich, wachsen oder – seit Neuestem – schrumpfen, gewinnen und verlieren an Bedeutung. Städte sind Lebensräume, in denen – wie in einem Brennglas gebündelt – gesellschaftliche Veränderungen am unmittelbarsten und am auffälligsten zutage treten. Die Optionen der Zukunft wie auch die Brüche und Disparitäten des Heute sind auch in Heidelberg städtische Realität.
Gerade der kürzlich aktualisierte Bericht zur Sozialen Lage in Heidelberg macht deutlich, dass auch in der wohlhabenden Stadt Heidelberg verfestigte Inseln der Armut und Ausgrenzung existieren. Rund 11.300 Heidelberginnen und Heidelberger sind armutsgefährdet oder arm. Das sind rund 7,7 % der Heidelberger Bevölkerung. Im Vergleich zu anderen Städten ist der Anteil geringer, aber trotzdem sind es über 11.000 einzelne Schicksale. Die Risiken mit Armut konfrontiert zu werden, sind zudem zwischen den sozialen Gruppen ungleich verteilt., Alleinerziehende, Kinder und AusländerInnen – und zwar in dieser Reihenfolge -sind mehr als andere Bevölkerungsgruppen armutsgefährdet. Auch räumlich ist ein krasses Nord Süd-Gefälle vorhanden. Insgesamt nimmt die Kluft in der Heidelberger Gesellschaft wie in der bundesdeutschen kontinuierlich zu.
Diese wenigen Zahlen zu machen deutlich: Städte brauchen Solidarität. In Heidelberg und anderswo. Francois Mitterand, der ehemalige französische Staatspräsident, hat einmal gesagt: „Es gibt keine und es kann keine politische Stabilität ohne soziale Gerechtigkeit geben.“ Dabei setzt die Solidarität das Individuum als bewusst und selbstständig handelnde Person voraus. Solidarität ist ein Akt bewusster Mitmenschlichkeit, der auf der Einsicht beruht, dass wir Menschen auf einander angewiesen sind.
Stadtentwicklung gestaltet das aktuelle und künftige Zusammenleben von Menschen und ist damit mehr als nur räumliche Entwicklungsplanung: Sie hat ebenso einen sozialen Bezug und eine soziale Verpflichtung. Es geht dabei immer um die Frage, in welcher Weise die Menschen ihre Ansprüche an angemessene Lebensbedingungen verwirklichen können, ohne die Lebenschancen der kommenden Generationen zu gefährden. Viele Politikfelder wie etwa die Verkehrs-, Wirtschafts- und Umweltpolitik berühren das soziale Zusammenleben unmittelbar und müssen Bestandteil einer umfassenden gleichgewichtigen Stadtentwicklungspolitik sein.
In diesem Sinne ist Soziale Stadtentwicklung ein Kernanliegen des Stadtentwicklungsplanes. So haben wir die Auftaktveranstaltung zur Erarbeitung des neuen Stadtentwicklungsplanes 1994 mit „Solidarische Stadt“ übertitelt.
Folgerichtig fordert der Stadtentwicklungsplan, dass Heidelberg eine Stadt des sozialen Ausgleichs sein soll, die Armut bekämpft, Ausgrenzung verhindert und sozialräumliche Spaltungstendenzen überwindet. Das Zusammenleben aller in der Stadt und die gegenseitige Toleranz sollen gefördert werden. Alle sollen die Optionen einer offenen Gesellschaft nutzen können und besonders die möglichen Verlierer oder Opfer des gesellschaftlichen Wandels sollen unterstützt werden. Verantwortung und Verpflichtung der Stadtgesellschaft ist es, bei den Bürgerinnen und Bürgern ein soziales Bewusstsein für „Menschen am Rande der Gesellschaft“ zu entwickeln und damit deren Ausgrenzung und Abstieg entgegen zu wirken.
Zielsetzungen, die auf eine Soziale Stadtentwicklung hinführen finden sich auch an zahlreichen anderen Stellen. Ich bin sicher, Sie alle kennen den Stadtentwicklungsplan gut genug, dass ich mit diesem kleinen Verweis hier enden kann.
Mit Blick auf das neue Jahr 2012 will ich sechs Hoffnungen oder Erwartungen zur Sozialen Stadtentwicklung in Heidelberg im Jahr 2012 aussprechen.
1. Soziale Stadtentwicklung erhält die erforderlichen Ressourcen
2. Soziale Stadtentwicklung wird als Daueraufgabe angesehen
3. Soziale Stadtentwicklung ist eine Aufgabe für alle Stadtteile und nicht nur für benachteiligte Stadtquartiere
4. Soziale Stadtentwicklung fordert von den Bürgern Eigenverantwortung
5. Viele Akteure der Zivilgesellschaft bringen sich intensiv ein
6. Es findet ein breiter öffentlichen Diskurs um die Ziele und Maßnahmen einer Sozialen Stadt- und Stadtteilentwicklung statt
Zur ersten Hoffnung: „Soziale Stadtentwicklung erhält die erforderlichen Ressourcen“.
Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass finanzielle und personelle Ressourcen, notwendig und verfügbar sind. Ich habe die Hoffnung, dass bei den Beratungen über den nächsten Doppelhaushalt auch die Weichen für eine gesicherte Zukunft der beiden Quartiersmanagementprojekte gestellt werden. Sowohl das Stadtteilmanagement Emmertsgrund als auch der Treff am Turm benötigen eine tragfähige finanzielle Absicherung.
Soziale Stadtentwicklung wird als Daueraufgabe akzeptiert.
Sie benötigt einen langen Atem und Kontinuität. Auf der einen Seite verschärfen sich die Problemlagen, zum anderen ist Soziale Stadtentwicklung kein einzelnes Projekt. Sie ist vielmehr ein integrierte Herangehensweise, die die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen vor Ort ernst nimmt und einbindet. Ich hoffe dass diese Einsicht bei der berechtigten Frage nach Effizienz einer konkreten Maßnahme nicht zu sehr in den Hintergrund rückt.
In diesem Sinne ist soziale Stadtentwicklung eben nicht auf die berüchtigten „Sozialen Brennpunkte“ zu reduzieren. Sie muss eine gesamtstädtische Aufgabe und „Haltung“ sein, die eine Entwicklung mit und nicht über die Menschen einleitet.
Viertens benötigt eine soziale Stadtentwicklung die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Die Rolle der Kommune muss sich dabei von der patriarchalen Fürsorge zu einer Selbsthilfe und Selbstorganisation unterstützenden Ermöglichungskultur verändern. Die bisher noch vorherrschende Zielgruppenarbeit muss immer mehr von stadtteil- und gemeinwesenorientierten Projekten abgelöst werden.
Der Trägerverein für das Stadtteilmanagement Emmertsgrund ist ein sehr gutes Beispiel. Die Erfolge zeigen, dass der Weg richtig war. Mit der jüngsten Entscheidung des Gemeinderates den Betrieb des grundsanierten Bürgerhaus Emmertsgrund ebenfalls dem Trägerverein für das Stadteilmanagement Emmertsgrund zu übertragen, wird eine weitere Stufe der Zusammenarbeit erreicht. Unter dem Motto „Das Bürgerhaus Emmertsgrund geht auf Empfang“ wird gemeinsam mit weiteren Partnern dort ein Bündnis für Ausbildung, Beschäftigung und Integration geknüpft. Auch der Treff am Trum zeigt, was mit bürgerschaftlichem Engagement erreicht werden kann.
In der Bahnstadt soll von Anfang an ein Nachbarschaftstreff die zukünftigen Bewohner mit niederschwelligen Angeboten bei der Bewältigung des sicherlich nicht ganz einfachen Alltagslebens in einem auf Jahre von durch Baustellen geprägten Quartier unterstützen. Er soll den Pionieren dabei helfen, möglichst schnell Heimat in der Bahnstadt zu finden und gelingende Nachbarschaften aufzubauen. Die europaweite Ausschreibung eines in der Startphase professionellen Trägers wird noch in diesem Monat starten. Nach drei Jahren soll der Träger den Nachbarschaftstreff aber in die Hände der zukünftigen Einwohner legen und diese die Angebote eigenverantwortlichen bestimmen.
Soziale Stadtentwicklung braucht fünftens möglichst viele Akteure aus der Zivilgesellschaft, denn nur durch das Zusammenwirken vieler Institutionen und gesellschaftlicher Bereiche mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, Interessen und Aufgaben kann eine Entwicklung gelingen, die unsere Stadtteile lebenswert macht bzw. erhält.
Letzte Anforderung: Damit soziale Stadtentwicklung gelingt benötigen wir einen offen und öffentlichen Diskurs über die Ziele und die Maßnahmen in dieser Stadt, in den Stadtteilen und den einzelnen Quartieren. So bindet das Integrierte Handlungsprogramm Emmertsgrund die Betroffenen von Anfang an eng bei der Formulierung der Ziele und Maßnahmen ein.
Die Aufgaben sind nicht einfach, aber wenn viele Menschen mitmachen, kann das Jahr 2012 ein gutes Jahr für die „Soziale Stadtentwicklung in Heidelberg werden
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches und glückliches Jahr 2012 und Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
