Sperrzeiten in der Altstadt wieder unwirksam – Eine „never ending story“? Mit Antworten zur RNZ Umfrage von Stadträtin Judith Marggraf
Seit über 10 Jahren beschäftigt sich der Gemeinderat mit den Sperrzeiten in der Altstadt. Hier eine kurze Chronik:
Der Interessenskonflikt zwischen Anwohnern und Wirten und ihren Gästen in der Altstadt besteht schon seit langen. Die einen möchte ihre Nachtruhe, die anderen gern lange feiern. Lärm, Dreck, und Randale wurden in der Altstadt immer schlimmer, so dass es in den Jahren 2009 und 2010 diverse Runde Tische „Pro Altstadt“ gab, bei denen ein 58-Punkte-Plan entwickelt wurde. Dieser sah u.a. einen Erlass einer Sperrzeitverordnung zur Verbesserung der Gesamtsituation für die Anwohner vor.
Die Landesregierung ließ ab dem 1.1.2010 längere Öffnungszeiten für Gaststätten zu: bis 3 Uhr bzw. in den Nächten auf Samstag/Sonntag bis 5 Uhr. Der Gemeinderat Heidelberg hat jedoch am 17.12.2009 beschlossen dieser Verkürzung der Sperrzeiten nicht zu folgen und die bisherigen beizubehalten: bis 2 Uhr bzw. in den Nächten auf Samstag/Sonntag bis 3 Uhr. Der Karlstorbahnhof ist von dieser Regelung ausgenommen. Bestehende Ausnahmeregelungen behielten Gültigkeit. (4 Nein Stimmen, 3 Enthaltungen und 1 Befangene Stimme).
2010 wurde eine Klage von Anwohnern beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben, um anwohnerfreundlichere Sperrzeiten zu erreichen. 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eine Berufung zugelassen und dargestellt, dass die Sperrzeitverordnung korrigiert werden muss. Die Stadt Heidelberg hat einem Vergleich zugestimmt und sich verpflichtet ein Lärmgutachten erstellen zu lassen und auf dessen Grundlage die Sperrzeiten neu festzulegen.
Das Lärmgutachten vom 14.10.2014 ergab, dass im Kerngebiet (Untere Straße, Mittelteil der Hauptstraße, sowie die Seitengassen Heugasse, Kettengasse, Krämergasse, Steingasse und Leyergasse) mit hoher Kneipendichte über den gesamten Betrachtungsraum Überschreitungen prognostiziert werden.
Am 18.12.2014 entschied der Gemeinderat mit 12 Gegenstimmen die Landesregelung einzuführen. D.h. ab dem 1.1.2015 durften Kneipen und Gaststätten wochentags bis 3 Uhr und am Wochenende bis 5 Uhr öffnen. Die Liberalisierung sollte die Besucherströme entzerren. Zusätzlich wurde der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) auf 12 MitarbeiterInnen aufgestockt.
Dem Vorschlag der Verwaltung wochentags bis 1 Uhr und in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 3 Uhr in demjenigen Teil der Altstadt, der nach den Ergebnissen des Lärmgutachtens besonders belastet ist, öffnen zu dürfen, folgte der Gemeinderat nicht.
Aus einem Erfahrungsbericht, der am 23.03.2016 im Gemeinderat beraten wurde, wurde klar, dass zwischen 3 und 5 Uhr durch alkoholisierte Ruhestörer und laut unterhaltende Gäste die Nachtruhe der Anwohner empfindlich gestört ist. Eine Zuordnung dieser Personen zu bestimmten Gaststätten war jedoch in den meisten Fällen nicht möglich. Weitere Maßnahmen wurden festgelegt: Verlängerung der Probezeit, Vorbereiten eines Konzepts für ein Förderprogramm für Lärmschutz mit Lärmschutzfenstern, Erarbeiten einer Selbstverpflichtungserklärung mit allen interessierten Gastronomiebetrieben in der Heidelberger Altstadt.
Nach einer zweijährigen Probephase hat der Gemeinderat am 20.12.2016 wieder für neue Sperrzeiten gestimmt. Das neuste Lärmgutachten hatte nämlich ergeben, dass es im östlichen Bereich der Altstadt, in dem die Kneipendichte sehr hoch ist, nachts zu laut ist. Die neuen Sperrzeiten ab dem 1.1.2017 waren: 2 Uhr unter der Woche, 4 Uhr am Wochenende. Neu war ein „langer Donnerstag“, d.h. von Donnerstag auf Freitag durften die Kneipen nun bis 4 Uhr öffnen. Mit 25 Ja, 16 Nein und 2 Enthaltungen ging die neue Regelung durch. Zu prüfen blieb, ob es wieder für die drei Diskotheken im betroffenen Gebiet (Tangente, Cave54, Club 1900) Ausnahmeregelungen gibt, so wie es bis Ende 2014 der Fall war. Die Stadtverwaltung hatte angesichts der Ergebnisse des Lärmgutachtens einen anderen Vorschlag gemacht: Gaststätten sollten wochentags bis 1 Uhr und in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 3 Uhr öffnen dürfen. Dem ist der Gemeinderat aber nicht gefolgt.
Anwohner wandten sich mit einem Normenkontrollantrag gegen diese Sperrzeiten und der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erklärte die Verordnung vom 20.12.2016 der Stadt Heidelberg Ende März 2018 für unwirksam.
Mit knapper Mehrheit beschloss der Gemeinderat am 24.7.2018 daher wieder neue Sperrzeiten für den östlichen Teil der Altstadt. Mit 22 Ja und 19 Nein Stimmen sowie 4 Enthaltungen wurden folgende Sperrzeiten ab dem 2.08.2018 festgelegt: auf Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag um 1 Uhr, auf Freitag um 3 Uhr, auf Samstag und Sonntag um 4 Uhr. Zusätzlich wurden mehrere Maßnahmen beschlossen: Aufstockung des KOD, Moolinerabfahrten am Uniplatz und dort mehr Sicherheitspersonal, Verantwortungszone in jeder Kneipe sowie ein Lärmbeauftragter.
Anwohner stellten daraufhin eine Normerlassklage, sie wollten dass das Gericht Sperrzeiten für die Kernaltstadt festlegt: Mitternacht unter der Woche und 1 Uhr am Wochenende. Da alle außergerichtlichen Einigungen gescheiterten, befasste sich das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem nächtlichen Lärm in Heidelberg. Bei der Gerichtsverhandlung am 31. Juli 2019 befand das Gericht nun unter der Woche ist um Mitternacht Schluss und am Wochenende um 2.30 Uhr. Die Vorgaben sind bindend für den Gemeinderat, nur den exakten Geltungsbereich der neuen Sperrzeiten könne er festlegen.
Als Grundlage für die Argumentation des Gerichts gilt das Lärmgutachten des Büros Genest und Partner, die den Schallpegel von Mai bis Juli 2016 an fünf zentralen Punkten in der Altstadt gemessen hat: in der Unteren Straße auf Höhe des Fischmarkts, an der Ecke Hauptstraße / Floringasse, in der Kettengasse (wo etwa die “Tangente” liegt), in der Dreikönigstraße und in der Hauptstraße auf Höhe des Kurpfälzischen Museums. Höchstwerte wurden vor allem in der Unteren Straße und im zentralen Teil der Hauptstraße festgestellt – vergleichbar sind diese mit vorbeifahrenden Lkw oder Motorsägen. Diese Werte, so das Gericht, entsprächen der Lärmkulisse eines Gewerbe- und Industriegebiets – und nicht denen eines Wohn- und Mischgebiets. Für die Anwohner bedeutet dies lärmbedingte Gesundheitsgefahren. Das Gericht machte deutlich, dass mindestens 6 Stunden Nachtruhe für einen Gesundheitsschutz notwendig seien. Außerdem mahnte das Gericht an, dass fast keine der beschlossenen Maßnahmen zur Lärmreduzierung ausgeführt wurden.
Zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in Sachen Sperrzeiten machte die Rhein-Neckar-Zeitung eine Umfrage bei den Gemeinderäten. Hier die Antworten unserer Fraktionsvorsitzenden Judith Marggraf:
1. Wie sehen Sie die Entscheidung des Gerichts, dass die Kneipen künftig werktags um Mitternacht und am Wochenende um 2.30 Uhr schließen müssen?
Wir begrüßen die Entscheidung, bedauern aber durchaus, dass das auch viele Gastronomiebetriebe trifft, die sehr verantwortungsvoll mit der Lärmproblematik umgegangen sind. Darüber hinaus ist die Entscheidung des Gerichtes eine berechtigte Ohrfeige für einen Gemeinderat, der sich mehrheitlich über die Interessen der Altstadtbewohner hinwegsetzte und alle Warnungen, u.a. der Verwaltung, in den Wind schlug.
2. Werden Sie dafür stimmen, Berufung einzulegen?
Nein. Das Gericht hat uns einen Rahmen vorgegeben, der jetzt mit politischen Entscheidungen ausgestaltet werden muss. Die Situation war und ist schwierig, jetzt noch eine Runde vor Gericht zu drehen, wird das nicht ändern.
3. Wie kann der Konflikt in der Altstadt zwischen Anwohnern und Kneipiers noch befriedet werden? Und wie wollen Sie dies als Fraktion angehen?
Wir warten jetzt auf einen Vorschlag, für welche Gebiete die neuen Sperrzeiten tatsächlich angewendet werden sollen, welche der (beschlossenen) flankierenden Maßnahmen nun umgesetzt werden und was sich daraus dann ergibt. Vielleicht muss man auch einmal über ein Bonus-/Malus-System nachdenken, um die Altstadt-Gastronomie nicht über “einen Kamm zu scheren”.
Den dazugehörigen RNZ Artikel vom 7.8.2019 können Sie hier nachlesen:
- Posted by GAL (ck)
- On 19. August 2019
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