Redebeitrag von Gerd Guntermann bei der Solidaritätskundgebung für Belarus am 15.08.2020
Für Amnesty International Heidelberg hat unser Vorstandsmitglied Gerd Guntermann während einer Solidaritätsveranstaltung für Weißrussland am 15. August 2020 auf dem Uni-Platz gesprochen. Hier sein Redebeitrag:
„Diktatur zeigt sich oft im Banalen. Im Sommer 2017 stehe ich auf dem Bahnhof von Mogilew in Weißrussland. Auf einer Bank ein junges Pärchen, sie sitzt, er liegt, Kopf auf ihrem Schoß. Zwei Milizionäre nähern sich, einer zückt den Schlagstock und stößt ihn dem jungen Mann in die Rippen: „Hinsetzen, hier liegt man nicht ‚rum!“
Szenenwechsel: Ich möchte ein Foto von der Fleischabteilung eines Supermarkts machen, zücke meine Kamera. Sekunden später legt sich eine Hand von hinten auf meine Schulter: „Was und warum fotografierst Du?“ Mit viel Überredungskunst gelingt es meinem weißrussischen Freund, den Uniformierten (in einem Supermarkt!) zu überzeugen, dass ich nur ein harmloser Tourist bin und ich doch bitte meine Kamera behalten kann.
Die Gesamtatmosphäre in Mogilew ist bedrückend. Diskussionen und politische Äußerungen in der Öffentlichkeit sind tabu, weil zu riskant.
Wieder Szenenwechsel: Seit Tagen bekomme ich keine Antworten auf meine Mails nach Belarus. Das Regime hat den Internetverkehr unterbrochen.
Diese Alltagssituationen sind nichts im Vergleich zu anderen Techniken, die das Regime anwendet, um seine Bevölkerung unter der Knute zu halten – bis hin zur Todestrafe, bei der die Delinquenten, ob schuldig oder unschuldig (seit 1991 über 300 bekannte Fälle) mit Nackenschüssen aus Pistolen liquidiert und ihre Leichname an geheimen Orten entsorgt werden, ohne dass die Angehörigen erfahren, wo. Wie eine Demonstantin aus Minsk feststellte: „Methoden wie 1941, als die Nazis in Belarus einfielen.“ Mit dem schieren Grauen der Todesstrafe demonstriert der Staat, dass er Herr über Leben und Tod seiner Bürger ist. Davor kommen Misshandlungen, Vergewaltigungen und Folter, auch bei gefangenen Demonstranten.
Bezeichnend: Putin und Xi Jinping gratulierten Lukaschenko als erste zur Wahl – kein Wunder, wenn man deren Regime vergleicht: gestützt auf brutalsten Terror, bar jeder Rechtsstaatlichkeit.
Octavio Paz, mexikanischer Literaturnobelpreisträger, meinte: „Es gibt Freiheit immer dann, wenn ein Mensch es wagt, nein zur Macht zu sagen.“ Bleiben wir solidarisch mit all den Bürgern von Belarus, die den riesigen Mut aufbringen, nein zum Staatsterror zu sagen.“
- Posted by GAL (ck)
- On 17. August 2020